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7 Tage Schrothkur in Oberstaufen

Eine Wellness-Tribune Reportage

Von Andreas Gillner

Die Fotos zeigen Schrothgerichte, wie sie im Allgäuer Panoramahotel angeboten werden. Jeder Teller eine Mahlzeit.

OBERSTAUFEN. Der Blick auf die Waage zeigt es: Wieder sind es ein paar Pfund zu viel. Der Gedanke an eine Diät drängt sich auf. Doch Diäten gibt es viele. Welche ist die richtige? Vielleicht eine Schrothkur in Oberstaufen? Eigentlich ist es keine Schlankheitsdiät, sondern eine Form des Heilfastens, bei dem der Gewichtsverlust eine Nebenerscheinung ist. Die Kur basiert auf vier Säulen: der Schroth´schen Diät, die aus einer kalorienreduzierten, überwiegend basischen Kost ohne tierisches Eiweiß, Fett und Salz besteht; der Schroth´schen Packung, einem Ganzkörperwickel in den frühen Morgenstunden zur Steigerung der Durchblutung und der Anregung des Stoffwechsels; der Schroth´schen Trinkverordnung mit Trink- und Trockentagen, sowie im Wechsel Ruhe und Bewegung. Und: Neben dem willkomenen Abnimmeffekt soll die Kur auch glücklich machen. Wellness-Tribune war eine Woche lang vor Ort, um sich ein Bild von der Kur zu machen. Unser Fazit: Mit der Kur nimmt man sehr gut ab. Ein euphorisches Glücksgefühl hat sich nach einer Woche noch nicht eingestellt, aber ein angenehmes Gefühl von Zufriedenheiheit mit dem Erreichten. Wer abnehmen, sich sportlich betätigen und vor allem durch Verzicht in Selbstbeherrschung üben will, für den ist die Kur absolut empfehlenswert.

„Sie haben sich also entschlossen zu schrothen?“ fragt Adrian Rothe, Inhaber des Allgäuer Panoramahotels in Oberstaufen bei der Begrüßung. Ich schaue ihn fragend an. Will er etwa sagen „haben Sie es sich auch gut überlegt?“ Die nächste Frage, ob ich mein Gepäck noch im Auto habe, beantworte ich nur mit einem kurzen Nicken, denn plötzlich höre ich in meinem Ohr die Stimmen der Skeptiker, die mich nur bedauerten, als ich meinen Entschluss zu Schrothkur schilderte. „Es gibt nur Körner zu Essen, eine Menge Wein zu Trinken, du hast ständig Hunger und geweckt wirst du schon um vier Uhr morgens, und überhaupt... Spaß kann so etwas überhaupt nicht machen...“ Nein, eigene Schrotherfahrungen hat von denen noch niemand gesammelt, aber sie haben halt eine Menge darüber gehört... „So, da sind wir“.  Adrian Rothe beendet zu meiner Erleichterung diese gedankliche Rückschau, als er das Zimmer mit der Nummer 51 aufschließt. Es ist modern eingerichtet und wirkt bereits auf den ersten Blick sehr gemütlich. Und spätestens als ich einen Blick aus dem Fenster werfe und sich vor mir die Oberstaufener Landschaft und der prächtige Hochgrat, so heißt der 1832 Meter hohe Gipfel, ausbreitet platzen die Gedanken an die kritischen Kommentare wie ein prall gefüllter Luftballon, in den man eine Nadel einsticht. Allein dieser Blick auf die noch mit Schnee bedeckten Berge, entschädigt schon jetzt für alles. Schlimm kann eine Schrothkur gar nicht mehr werden. Vögel werden von Körnern doch auch satt...

Adrian Rothe betreibt gemeinsam mit seiner Frau Saskya das Allgäuer Panoramahotel in Oberstaufen, das früher ein Sanatorium von Dr. Hermann Brosig war.

„Sie haben morgen früh einen Termin bei Dr. Vera Brosig“, wieder reißt mich Adrian Rothe aus meinen Gedanken. „Vor dem Beginn einer Schrothkur steht immer ein Arztbesuch auf dem Programm, der vor und nach der Kur den Kurgast gründlich untersucht, und bei Dr. Vera Brosig  hat die  Schrothkur Familientradition.“ Vor 60 Jahren hat der Vater ihres Ehemannes, Dr. Hermann Brosig, die vor 180 Jahren von dem schlesischen Arzt Johann Schroth entwickelte Kur nach Oberstaufen gebracht und den Ort zu dem gemacht, was er heute ist: Das einzige anerkannte Schrothheilbad mit jährlich mehr als 30 000 Schrothgästen und über 70 Schrothgastgebern, darunter das Allgäuer Panoramahotel, das ursprünglich ein Schrothsanatorium von Dr. Hermann Brosig war.

Die Schrothkur ist ihr Leben. Gemeinsam mit dem Schrothverein achtet Dr. Vera Brosig darauf, dass die Schrothregeln eingehalten werden. Fotos: Gillner

Das Sanatorium gibt es nicht mehr, die Brosigs aber schon. Und die, allen voran Dr. Vera Brosig, sind mit Leib und Seele der Schrothkur verfallen. Wie fast jeder in Oberstaufen. Denn Schrothen ist hier eine ungeschriebene Pflicht, gleich ob Einzelhändler, Verwaltungsangestellter oder einer der weiteren rund ein Duzend Kurärzte. Nur wer selbst schrothet, weiß wovon er spricht. Und damit alles einheitlich bleibt, gibt es Regeln. „Der Schrothverband und der Schrothverein achten darauf“, sagt die Ärztin und Vorsitzende des Schrothvereins Dr. Vera Brosig, „dass die Schrothregeln einheitlich eingehalten werden“.  Und diese Regeln beginnen bereits bei der Schroth´schen Diät. Die Schrothkost ist nicht üppig, maximal 600 bis 700 Kilokalorien gibt es am Tag, verteilt auf eine Mahlzeit um 12 und eine um 18 Uhr. 

„Die ersten zwei Tage werden Sie vielleicht Hunger haben“, sagt Dr. Brosig, „doch dann wird sich ihr Körper umstellen und das Hungergefühl wird weichen. Wichtig ist nur, dass die Ernährung überwiegend aus basischer Kost ohne tierisches Eiweiß und Fett und vor allem salzfrei ist. Mit ´Körneressen´ hat das überhaupt nichts zu tun“, erklärt und beruhigt mich die Medizinerin. Durch die Diät soll der Stoffwechsel entlastet und die Selbstheilung gefördert werden. Weil Schrothen auch Entschlacken bedeutet, bekomme ich als erste Mahlzeit ein Pflaumensüppchen serviert. „Sie sollten sich anschließend nicht allzu weit vom Hotel entfernen“, mahnt mich Adrian Rothe, wohlwissend um die verdauungsfördernde Wirkung der Suppe. Die Suppe ist warm und süsslich im Geschmack. „Nicht jeder mag sie“, sagt Adrian Rothe. Doch mir schmeckt sie. Wahrscheinlich weil ich sowieso süsse Speisen mag, bleibt die von Adrian Rothe beschworene Wirkung aus. In den kommenden Tagen lerne ich mit wenig auszukommen. An einem Tag gibt es mittags einen Teller Sauerkraut mit Brötchen  und abends zwei Scheiben Toast mit gedünsteter Paprika und etwas Bärlauch, am anderen Tag eine Brokkoli Bärlauch Suppe oder Kartoffeln, gedünstete Karotte und Spinat. Alles salzlos. Und zu meiner Überraschung alles so schmackhaft und ausreichend, dass ich wie von Dr. Brosig vorhergesagt kaum Hungergefühl verspüre.

Parallel zur Schroth`schen Diät gibt es auch die Schroth`sche Trinkverordnung, die im Wechsel einen Trinktag an dem der Schrothler viel trinkt und durch Bewegung wie Wandern, Golfen oder Schwimmen den Stoffwechsel anregen soll und einen Trockentag, an dem kaum etwas getrunken, dafür aber geruht und entspannt werden soll. Ob die Trocken- und Trinktage streng eingehalten werden können, entscheidet der Arzt vor Beginn der Kur. Der Wechsel zwischen viel und wenig Flüssigkeit soll die Gewebsdrainage im Köper unterstützen. „Während der Trockentage entsteht ein Sog aus dem Zwischengewebe in das dickflüssigere Blut. Am Trinktag werden dann die herausgelösten Substanzen ausgeschieden“, steht es in einer Broschüre über die Original Oberstaufene Schrothkur. An die  Schroth´sche Trinkverordnung setzen auch viele Kritiker an, da an den Trinktagen nicht nur Wasser oder Tee, sondern auch Wein erlaubt ist.  Die Befürworter argumentieren mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien, in denen die gesundheitsfördernde Wirkung des moderaten Weinkonsums und die positiven Effekte auf  Durchblutung, Stoffwechsel, Immunsystem und Psyche belegt wurden.

In den frühen Morgenstunden werden die Schrothkurgäste von Conny Grundl "verpackt".

Die Schroth´sche Packung ist schließlich die 4. und vielleicht die gewöhnungsbedürftigste Säule der Schrothkur. In den frühen Morgenstunden, zwischen 4 und 5 Uhr, wird dem Schrotler ein Ganzkörperwickel, eine sogenannte Packung verabreicht. Im Oberstaufener Panoramahotel ist es Conny Grundl, die den Gast jeden Morgen mit einer Tasse heißen Tee und einem Kurgebäck (einr Scheibe Knäckebrot) aus dem Tiefschlaf holt. Dann macht sie sich ans Werk. Bereitet mit geübten Griffen das Bett vor, die langjährige Erfahrung als Packerin merkt man ihr an. Schon als Kind hatte sie ihre Mutter, die ebenfalls den Beruf der Packerin ausübte begleitet und später im Erwachsenenalter beschlossen, selbst Packerin zu werden. Sie legt eine dicke Bettdecke auf das Bett, im Rücken- und Fussbereich platziert sie zwei etwa 65 Grad heiße Wärmflaschen. Darüber breitet sie ein kaltes, nasses Leintuch aus. „Sie können sich jetzt hinlegen“, fordert mich Conny Grundl auf. Man kann es regelrecht spüren, wie sich die Gefäße zusammenziehen, sobald die nackte Haut das Tuch berührt und als die Packerin auch noch den Rest des feuchtkalten Tuches über den Oberkörper wickelt, steigt der Blutdruck, die Atmung wird tiefer und die erste Phase der Schroth´schen Packung ist erreicht. Conny Grundl legt jetzt noch eine weitere Wärmflasche auf den Bauch, noch eine Decke darüber und verschnürt mich mit der Bettdecke zu einem dicken Bündel. Damit die Wärme nicht entweichen kann, wird auch noch der Kopf in ein Tuch gepackt. So verpackt, zur Sicherheit mit einem Notrufknopf in der Hand, verbringe ich die nächsten zwei Stunden. Rasch spüre ich wie sich die Wärme ausbreitet. Der Körper reagiert wie gewollt mit einem Schweißausbruch. Ziel der Packung ist es eine Erhöhung der Körpertemperatur um 1 bis 2 Grad C (sogenanntes Heilfieber).

Die Wärme tut gut, die Zeit vergeht rasch, und als Conny Grundl wieder im Zimmer auftaucht und mich freundlich mit der Frage „gar gedünstet?“ wieder entpackt, kann ich es kaum glauben, dass die zwei Stunden schon rum sind. Bereits am dritten Tag geht es mir wie fast allen Schrothlern. Ich bin wach bevor Conny Grundl das Zimmer betritt und freue mich schon fast auf die Packung auch wenn ich mich an die ersten Sekunden Kontakt mit dem nasskalten Tuch wohl nie gewöhnen werde. Conny Grundl greift dann in ihre Erfahrungskiste: „Im Winter kommen Schrothgäste, die wollen, dass ich das Tuch vorher noch in den Schnee lege, damit es richtig kalt ist“. Zu denen werde ich wohl nie gehören, wohl aber zu den „Wiederholungstätern“, denn am Ende der Kur konnte ich eine Gewichtsreduktion von zwei Kilogramm feststellen (andere Gäste hatten mehr aufzuweisen, allerdings in einem längeren Zeitraum) und ein angenehmes Gefühl der Zufriedenheit wirkte lange nach.

Schrothkur und Gesundheit
Das Naturheilverfahren nach Johann Schroth (1798-1856) ist eine Art des Heilfastens. Hauptindikatoren der Schrothkur sind: Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen, Herzinfarkt- und Schlaganfall-Prophylaxe, chronische Vergiftungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Rheuma, Artrosen, Diabetes Typ II b und Übergewicht. Kennzeichnend für die Original Oberstaufener Schrothkur sind tägliche Schwitzpackungen, der Wechsel von Trink- und Trockentagen, fettfreie, eiweiß- und salzarme Diät und der gezielte Wechsel von Ruhe und Bewegung. Aber auch für junge und gesunde Menschen ist die Schrothkur eine Bereicherung und eine gute Vorbeugung typischer Zivilisationskrankheiten. Nähere Informationen unter www.oberstaufen.de