Die schönste Mutprobe in Engadin
Der Klettersteig Piz Trovat auf der Divolezza
300 Höhenmeter, 475 Tritte, 600 Meter Drahtseile und eine luftige Seilbrücke: Das sind die nüchternen Daten für Route eins des Klettersteigs Piz Trovat auf der Divolezza. Ein Prospekt verspricht „die schönste Mutprobe im Engadin“ auf der mittelschweren Tour, begleitet von einer unglaublichen Szenerie aus Fels und Eis.
Aber es geht erst Mal eine gute halbe Stunde abwärts. Von der Bergbahnstation über Geröllhalden runter zum Einstieg in etwa 2.845 Meter Höhe. Und nun? Erst Mal die glatte Wand hoch über einige nahezu senkrechte Einstiegsleitern. Wir machen das, was wir kurz zuvor bei der Einweisung auf dem flachen Übungsfelsen am Berghaus Diavolezza gelernt haben: Sprosse um Sprosse nehmen und sich stets mit zwei Karabinerhaken sichern. Deren Handhabung ist einfach, aber mit Kletterhandschuhen an den Fingern doch etwas gewöhnungsbedürftig.
Die sich ständig wiederholende Prozedur erfordert eine gewisse Konzentration. Derweil ist der Blick bei jedem Schritt steil nach oben gerichtet. Nach unten schauen? Das Panorama genießen und Fotos machen? Besser nicht. Irgendwie ist auch keine Zeit dafür. Denn an dem herrlichen Tag Mitte September haben sich einige Gruppen den Klettersteig vorgenommen und rücken von unten nach. „Einfache Kletterei in flacherem Fels“ hat das Prospekt für besagte mittelschwere Tour versprochen. Für die Schweizer, die in dieser Gegend von vielen Dreitausendern umgeben sind, mag das so sein. Flachländer erleben diesen Part als durchaus anspruchsvoll. Zumindest im Vergleich zu den Klettersteigen in deutschen Mittelgebirgen. Die „Tritte“ werden abwechselnd auch als „Griffe“ benutzt. Meistens führen sie wie eine Leiter nach oben, mitunter auch quer die Felswand entlang. Und dann ist plötzlich das erste Etappenziel erreicht: Die „luftige Seilbrücke“ samt Steilwand auf der anderen Seite. Die Brücke führt über eine etwa 80 Meter tiefe Schlucht. Und sie ist auch nicht wirklich eine Brücke, sondern ein gerade Mal ein zwei Fuß breiter schwankender Steg – eben zwei Bretter nebeneinander mit zwei Seilen zum Festhalten und einem Führungsseil zur Sicherung. Genau dieses hängt aber gerade schlapp runter. Wahrscheinlich hat es sich durch einen Blitzschlag aus der Verankerung gelöst.
Die Seilbrücke sei trotzdem sicher, beruhigt uns der Bergführer, wickelt sein mitgebrachtes Seil um das schlappe und zieht es gerade. Sieht doch gleich besser aus... Dennoch muss der Schaden natürlich repariert werden, weshalb der Klettersteig noch am gleichen Tag vorübergehend gesperrt wird. Und wie hätten wir uns bei Wetterumsturz oder bei Gewitter verhalten müssen? „Weg vom Eisen – raus aus dem Klettersteig“ lautet der Sicherheitshinweis aus dem Prospekt. Fragt sich nur, wohin? Rechts und links sind ja meistens nur steile Felswände. Der Aufstieg über den Klettersteig zum 3.146 m hohen Gipfel des Piz Trovat ist für uns noch bei schönstem Sonnenschein zu schaffen. Der Weg zurück zum Berghaus Diavolezza erscheint da fast schwieriger. Denn wiederum führt er über Geröllhalden. Von Ferne ist schon die Sonnenterrasse zu sehen. Unser Mittagessen dort haben wir uns redlich verdient. Der Klettersteig Piz Trovat hat übrigens auch eine Route zwei, die wiederum als sehr schwierig gilt. Dort gibt es Überhänge und eine „Bizeps-Wand“, die bergsteigerisches Können und viel Kondition voraussetzt. Es geht im Engadin aber auch wesentlich entspannter. Etwa bei einer Seenwanderung. Die wäre natürlich auch am Hahnensee von St. Moritz möglich oder entlang der anderen Seen in dem weiten Tal. Wir wählen aber den „Wasserweg“ auf dem Corvatsch. Wo die Luftseilbahn Surlej/Murtèl an der Station Furtschellas endet, beginnt ein Rundwanderweg entlang von sechs kleinen Bergseen, den man in etwa anderthalb Stunden schafft. Auch wenn es viel auf und ab geht und dabei 333 Höhenmeter zu bewältigen sind. Die Seen heißen hier Lejin Christal, Magnetit, Malachit, Rhodonit, S-chaglia und Epidot. Auf Schautafeln wird erklärt, dass die Gewässer ihre Namen von Steinen und Kristallen haben, denen magische beziehungsweise heilsame Kräfte zugeschrieben werden.
So gilt der Rhodonit beispielsweise als „Erste-Hilfe-Stein“ bei Wunden. Er soll beruhigen und Schmerzen lindern. Nicht nur körperliche, sondern auch seelische. Der „Lejin Mangetit“ ist mit 2.646 Metern höchster Punkt der Wanderung. Auf dem Grund des Sees sollen viele Magnetitkristalle im Gestein vorhanden sein. Helfen diese dem Menschen tatsächlich, richtige Entscheidungen zu treffen und glücklich zu werden? Da ist das Mysterium, das sich um den Malachit rankt, leichter nachvollziehbar. Er soll bei allerlei Frauenbeschwerden helfen und sogar die Geburt erleichtern. Die Schwingungen, die von Kristallen ausgehen, sind nochmals eine andere Geschichte. Der „Wasserweg“ an sich ist inmitten einer grandiosen Berglandschaft eine pure Augenweide. Egal, ob man an die Kraft der Steine glaubt oder nicht: Der Rundwanderweg hat auf alle Fälle was Meditatives.
Wer länger an einem der sechs Bergsseen verweilen will, sollte für die Wanderung einfach ein, zwei Stunden mehr einplanen. Von einigen Stellen aus kann man außerdem eine traumhaft schöne Sicht auf die großen Seen im Tal genießen, die bei Sonnenschein türkisblau schimmern. Es ist ein Anblick zum Niederknieen. Aus anderer Perspektive betrachtet ist die Bergkulisse genauso eindrucksvoll. Wer frühmorgens mit der Standseilbahn Muottas Muragl nach oben fährt, sieht von dort gewaltige Gipfel und den Nebel über den Tälern. Ab dem Romantikhotel auf der Bergstation führt ein Panoramaweg bis zur Segantinihütte. Diese ist nach dem Maler Giovanni Segantini (1858-1899) benannt. Er ist auf dem Schafsberg hoch über Pontresina an einer Bauchfellentzündung verstorben und soll dort auch sein berühmtes „Alpentryptichon“ geschaffen haben.
Infos: Allgemein und bezüglich Bergbahnen: www.engadin.stmoritz.ch/berge
Übernachtung: Die Inn-Lodge in Celerina-St.Moritz (ein moderner Betonbau) bietet zwischen Massenlager, Doppelzimmer und Studio relativ günstige Übernachtungsmöglichkeiten. Näheres unter www.innlodge.ch.
Das 2456 Meter hoch gelegenen Romantikhotel Muottos Muragl mit über 100-jähriger Geschichte erreicht man mit der Standseilbahn. Es gibt eine Aussichtsterrasse, von der aus man das einzigartige Panorama bewundern kann sowie 16 liebevoll gestaltete „Gemächer“ zum Schlafen und Träumen. Mehr unter www.muottasmuragl.ch
Gut übernachten und essen kann man auch im Hotel Chesa Rosatsch in Celerina. Das Haus hat eine über 400-jährige Geschichte. Besonderheit: Dort kann man auf Vorbestellung ein Stück Fleisch in der Kühlkammer reifen lassen. Dann wird es beim Besuch im Restaurant „auf den Punkt“ serviert. www.rosatsch.ch.